Generation „Null Bock“ oder alles Einbildung?
Chill mal
2014-03-16T18:31:24+01:00
Schule schwänzen, Schulverweise sammeln, keine Lust auf eine Ausbildung. Ist das die neue Generation Jugendlicher? Laut Aussage mancher Lehrer und Ausbildungsfirmen schon. Doch wie schlimm steht es wirklich um unsere Jugend? bigKARRIERE hat Prof.Dr. Klaus Hurrelmann vin der Public Health and Education an der Hertie School of Governance nach seiner Meinung gefragt.
bigKARRIERE: Wie schlimm steht es denn wirklich um die Jugend?
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Die Jugend von heute ist so motiviert wie selten eine zuvor. Von einer Null-Bock-Mentalität kann keine Rede sein, das Gegenteil ist der Fall. Sowohl die Shell-Studien als auch die Sinusstudien demonstrieren, wie ehrgeizig die jungen Leute im Bildungsbereich sind. Zugleich zeigen die beiden Erhebungen, dass die jungen Leute die großen soziokulturellen Freiheiten spüren, die sich ihnen heute bieten. Außerdem wollen sie so viele Aktions- und Artikulationsmöglichkeiten in den Bereichen Medien, Mode, Musik, Unterhaltung, Freizeit und Beziehungsgestaltung wie irgend möglich ausprobieren.
Die meisten Jugendlichen genießen den unfreiwilligen sozialen „Wartestand“ im Lebenslauf, der sich aus den langen Ausbildungszeiten ergibt. Sie nehmen es gerne hin, dass sich die Übernahme eines verantwortlichen Erwachsenenstatus mit Beruf und Familie in ihrem Lebenslauf hinauszögert. Sie richten sich in ihrem biografischen Aufschub zwischen Kindheit und (Vielleicht-) Erwachsensein geschickt ein und werden gewissermaßen zu Experten im Umgang mit Unsicherheiten der künftigen Lebensplanung.
bigKARRIERE: Was unterscheidet die heutige Jugend von anderen Generationen?
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Wie in früheren historischen Epochen besteht auch heute die zentrale Herausforderung der Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter in der Bewältigung der jeweiligen alterstypischen „Entwicklungsaufgaben“. Jede Kultur hat bestimmte Erwartungen an die junge Generation: Ihre Bildung und Qualifikation voranzutreiben, sich von den Eltern zu lösen und eigene Bindungen und Beziehungen einzugehen und eigene Wertorientierungen aufzubauen.
Diese komplexen Aufgaben mit ihren vielfältigen Anforderungen müssen heute unter den Bedingungen der sich lang streckenden Lebensphase der Jugend mit der strukturellen Ungewissheit der Lebensplanung erfüllt werden. Man weiß nicht genau, wann und ob man in eine gute berufliche Position kommt, und man weiß nicht, ob und wann man eine Familie gründen kann.

Generation Null Bock/Foto: Jeremy Bishop / Unsplash
bigKARRIERE: Und wie löst die Jugend diese Aufgaben?
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Die Mehrheit der jungen Leute antwortet mit verstärkter Investition in ihre Bildung. Allen jungen Frauen und Männern ist bewusst: Ihre Verantwortung für die eigene Bildung steigt immer weiter an und sie sind bereit, darauf einzugehen. Nach gesellschaftlichem Verständnis haben Jugendliche heute die individuelle Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg ihrer schulischen Laufbahn ganz persönlich zu tragen. Ihr Leistungsverhalten entscheidet über ihre Position in Schule und Beruf, also über die Hierarchie von Belohnungen und Statuspositionen in der ganzen Gesellschaft.
bigKARRIERE:Wie tickt also diese Generation?
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Die meisten Angehörigen der „Generation Y“ schaffen es in einer bemerkenswerten Weise, mit den heutigen Bedingungen gut zurechtzukommen. Aber: Es schaffen nicht alle.
bigKARRIERE:Das heißt?
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Etwa einem Fünftel der jungen Leute gelingt es nicht, mit den hohen Leistungsanforderungen produktiv umzugehen und ihre Selbstdefinition auf diese schwierige Lebenslage auszurichten.
bigKARRIERE:Wer zerbricht an der Herausforderung?
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Unter den Überforderten und den Bildungsverlierern sind auffällig viele junge Männer. Die Geschlechtsunterschiede in den Bildungslaufbahnen sind in den letzten drei Jahrzehnten stärker geworden. Die Mädchen befinden sich von Anfang ihrer Schullaufbahn an auf der Überholspur. Sie erreichen die höheren Anteile beim Abitur und beim mittleren Abschluss, während sich die Jungen in den Förder- und Hauptschulen sammeln. Die Studien sehen hier einen Zusammenhang mit der inflexibleren Auslegung der Geschlechtsrolle: Die jungen Frauen streben in der Mehrheit auf eine flexible Rollenkombination von Kinder, Küche, Kirche, Kommune und Karriere zu, während sich die jungen Männer mehrheitlich in ihrem abgestammten „K“ der Karriere verbarrikadieren.
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