Mann an Steuer vorgelehnt
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Mann an Steuer vorgelehnt
Schlechte Erinnerungen verschwinden lassen

Vergessen auf Knopfdruck

Vergessen auf Knopfdruck – unangenehme Erinnerungen können dich quälen und dir das Leben schwer machen. Vergessen ist manchmal die beste Option für dich.

So mancher hat es schon gesagt: Die Dekade der 2020er neigt sich der Halbzeit entgegen und bisher war es größtenteils eine Zeit zum Vergessen. Viele von uns würden wahrscheinlich gerne einige Episoden der letzten Jahre vergessen, von Lockdowns über Waldbrände bis zu Fußball-WM in Katar. Doch ist es überhaupt möglich, Erinnerungen zu vergessen? Kannst du dein Gehirn so beeinflussen, dass du etwas auf Knopfdruck vergisst? Inzwischen wissen Forscher:innen, dass es möglich ist, Dinge gezielt zu vergessen. Du kannst sogar Erinnerungen im Kopf neu speichern und so zum Beispiel traumatische Erlebnisse ersetzen. Traumatherapeuten machen sich das Vergessen von Erinnerungen bereits zunutze. Vielleicht hast auch du Dinge im Kopf, die du unbedingt vergessen möchtest.

Vergessen auf Knopfdruck - Negatives brennt sich ein

Für das Funktionieren des menschlichen Gehirns ist es von großer Bedeutung, vergessen zu können. Jeden Tag strömen viele Informationen auf unser Gehirn ein. Nicht alles musst du dir merken, um dein Leben zu leben. Dein Leben besteht aus ständigen Veränderungen, du musst dich immer wieder anpassen und neue Erinnerungen speichern. Vergessen ist ein natürlicher Vorgang. Allerdings prägen sich vor allem sehr emotionale Erlebnisse besonders stark ein. Und hier sind es wiederum die negativen Erlebnisse, die lange im Gedächtnis bleiben. Grundsätzlich ist es überlebenswichtig, Gefahren zu speichern und sich im entscheidenden Moment daran zu erinnern. Negative Erinnerungen können aber auch zur Belastung werden und sogar zur Entwicklung von Traumata führen. Das Jahr 2020 wird rückblickend zum Beispiel vor allem als ein Jahr der Angst, der Panik, der Entbehrungen und Einschränkungen in die Geschichte eingehen. Nun liegt diese Zeit dankbarerweise schon einige Jahre zurück, dennoch können solche Erinnerungen belastend und sogar traumatisierend sein. Posttraumatische Belastungsstörungen können die Folge sein und sich in Schlafstörungen, Depressionen und Suchtverhalten äußern. Wäre es da nicht schön, wenn man das Vergessen einfach auf Knopfdruck lernen könnte? Auch wenn das Vergessen grundsätzlich ein unbewusster Prozess ist, so die Wissenschaft, ist das Vergessen auf Knopfdruck möglich.

Frau im Wald
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Frau im Wald

Vergessen auf Knopfdruck - das sagt die Wissenschaft

Vergessen auf Knopfdruck ist prinzipiell möglich. Das zeigt zumindest der Psychologe Karl-Heinz Bäuml von der Universität Regensburg. Zusammen mit Magdalena Abel konnte er bereits 2017 nachweisen, dass das gezielte Vergessen funktionieren kann. Für die Studie wurden 216 Versuchspersonen rekrutiert. Allen Proband:innen wurden zwei Listen mit jeweils 16 Begriffen vorgelegt. Sie hatten die Aufgabe, sich so viele Begriffe wie möglich zu merken. Anschließend erhielten die Gruppen unterschiedliche Anweisungen. Eine Gruppe sollte sich die Begriffe so gut wie möglich merken, der zweiten Gruppe wurde gesagt, dass die Begriffe aufgrund eines Softwarefehlers falsch seien und sie diese vergessen könnten und die dritte Gruppe wurde gezielt abgelenkt. Später teilten die Forscher:innen die Gruppen wieder auf. Eine Gruppe wurde drei Minuten nach dem Experiment befragt, die andere 24 Stunden danach.

Die Ergebnisse wurden 2017 im "Journal of Memory and Language" veröffentlicht. Bei der Abfrage nach drei Minuten konnten sich die Proband:innen, die sich erinnern sollten, durchschnittlich an 60 Prozent der Begriffe erinnern. Die Gruppe, die abgelenkt wurde, kam auf durchschnittlich 43 Prozent. Die Gruppe, die die Wörter vergessen sollte, kam ebenfalls auf 43 Prozent. Erstaunlich war jedoch das Ergebnis nach 24 Stunden. Nach 24 Stunden lag die Gruppe, die sich erinnern sollte, wie die Ablenkungsgruppe bei 43 Prozent. Dagegen konnten sich die Proband:innen der Vergessensgruppe nur noch an 32 Prozent der Wörter erinnern. Die Forscher:innen schließen daraus, dass Vergessen auf Knopfdruck möglich ist. Eine weitere Erkenntnis: Gezieltes Vergessen funktioniert besser als Ablenkung. Karl-Heinz Bäuml vertiefte seine Untersuchungen und fand heraus, dass du flexibel steuern kannst, welche Inhalte du vergessen willst und welche nicht.

Unangenehme Erinnerungen einfach vergessen

Wenn Vergessen auf Knopfdruck funktioniert, kannst du dann alles Unangenehme einfach beiseiteschieben? Der oder die Chef:in mahnt, der oder die Partner:in macht Schluss oder du verlierst dank Krypto einen Haufen Geld – und jetzt sollst du einfach den Eimer des Vergessens öffnen können und die unangenehmen Erinnerungen hineinschütten? So einfach ist das nicht. Es reicht nicht, etwas einfach vergessen zu wollen. Du musst die schlechte Erinnerung sozusagen mit neuen Informationen überdecken. Das heißt, auf eine schlechte Erfahrung muss eine gute folgen. Das muss nicht sofort passieren. Negative Erfahrungen bleiben länger im Gedächtnis als positive. Du musst also Zeit haben, negative Erlebnisse oder Erinnerungen, wie Stress im Job oder eine private Trennung, zu überschreiben.

Frau im Wald
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Frau im Wald

Alte Erinnerungen neu schreiben

Das Überschreiben von Erinnerungen kann auch bei älteren Erinnerungen funktionieren. Grundsätzlich geht die Forschung davon aus, dass Langzeiterinnerungen entstehen, wenn dauerhafte Verbindungen zwischen Nervenzellen in der Großhirnrinde entstehen. Lange Zeit wurde vermutet, dass diese Verbindungen dauerhaft bestehen bleiben und Erinnerungen somit unveränderlich sind. Experimente Anfang der 2000er-Jahre zeigten jedoch, dass Erinnerungen bei jedem Abruf neu geschrieben werden. Dies geschieht durch die Neubildung von Proteinen in den Nervenzellen, wie Tierversuche zeigten. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Erinnerungen sind beeinflussbar. Traumatherapeut:innen nutzen dies für die Therapie. Traumatisierende Erinnerungen werden in einem sicheren Rahmen abgerufen, neu gewichtet und dann wieder abgespeichert. Auch Ablenkung kann helfen, die Erinnerung so abzuspeichern, dass sie weniger stark gewichtet wird. Weitere Möglichkeiten, Erinnerungen weniger stark zu speichern, sind:

  • Ein Betablocker wie Propranolol wird verabreicht, um die Stressreaktion des Körpers während der Erinnerung zu reduzieren.
  • Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass Erinnerungen sogar vollständig gelöscht werden können. Ratten erhielten einen Elektroschock und gleichzeitig ein akustisches Signal. Dieses akustische Signal wurde mit Schmerz assoziiert, sodass die Ratten jedes Mal Angst bekamen, wenn sie diesen Ton hörten. Den Tieren wurde eine Chemikalie in die Amygdala gespritzt, wo die Angstgefühle sitzen. Diese Chemikalie stoppte die Proteinsynthese, und die Angst beim Hören des Tons verschwand. Wurde die Substanz injiziert, ohne vorher den Ton abzuspielen, verschwand die Erinnerung nicht. Solche Experimente sind beim Menschen natürlich nicht möglich. Chemikalien werden beim Menschen auch nicht in die Amygdala injiziert, aber gezieltes Vergessen kann dazu beitragen, dass Erinnerungen als weniger belastend empfunden werden.

Andere Experimente haben gezeigt, dass Erinnerungen – ob positiv, negativ oder neutral – durch gezieltes Vergessen abgeschwächt werden können. Vielleicht solltest du diese Technik auch anwenden, wenn du eines Tages mit einem etwas positiveren Blick auf die letzten Jahre zurückblicken möchtest.

Manchmal ist vergessen besser als erinnern

Im Gegensatz zum Erinnern hat das Vergessen nicht den besten Ruf. Vergessen wird oft als etwas Negatives angesehen. Wer ein schlechtes Gedächtnis hat und Dinge vergisst, gilt schnell als unzuverlässig. Dabei muss man manchmal Erlebtes vergessen, um gesund zu bleiben oder zu werden. Wenn eine Erinnerung nur mit negativen Gefühlen verbunden ist, macht es wenig Sinn, sie zu bewahren. Vergessen kann dann auch eine Form der Psychohygiene sein. Wenn dich Erinnerungen quälen und dir nichts nützen, kannst du Folgendes versuchen:

  • Gegenständliche Erinnerungen entfernen. Gibt es in deiner Umgebung einen Gegenstand, der eine unangenehme Erinnerung in dir hervorruft? Dann entferne diesen Gegenstand aus deinem Blickfeld.
  • Du kannst auch versuchen, dich abzulenken. Wenn die unangenehmen Erinnerungen auftauchen, lenke dich für mindestens zwei Minuten ab. Wann immer diese Gedanken auftauchen, unterbrecht sie mit Ablenkung.
  • Übe diszipliniert das Vergessen. Vergessen auf Knopfdruck ist möglich, wenn du die Gedanken immer dann ausblendest, wenn sie hochkommen wollen. Dabei musst du konsequent sein und bei deiner Einstellung bleiben. Du musst dich nicht ständig an Dinge erinnern, die dir nicht guttun.
  • Schlimme Erinnerungen ruhen lassen. Unschöne Erinnerungen nicht mehr bewusst hervorzuholen und zu betrachten, hilft beim Vergessen.