Schule als Staat
Schule als Staat ist ein spannendes Projekt gelebter Demokratie, das viele Schulen noch nicht kennen oder umsetzen. Hier erfahrt ihr, worum es geht und wie ihr eure Schulleitung dafür begeistert.
Schule als Staat ist ein spannendes Projekt gelebter Demokratie, das viele Schulen noch nicht kennen oder umsetzen. Hier erfahrt ihr, worum es geht und wie ihr eure Schulleitung dafür begeistert.
Unter Schule als Staat, oder kurz SaS, versteht man ein Projekt, bei dem die gesamte Schule über einen vorher definierten Zeitraum - beispielsweise eine Woche - in einen Staat umgewandelt wird. Die Staatsbürger sind dabei die Schüler und Lehrer.
In der vorbereitenden Phase werden die Parameter festgelegt. Welchen Namen soll der Staat tragen? Welche Staatsform soll der Staat haben? Wer macht mit beim Orga-Team?
Besonders interessant ist die Wahl der Staatsform. In den meisten Fällen ist das eine Demokratie, aber das ist nicht zwingend festgelegt. Es kann eine Menge bringen - besonders, wenn man das Projekt nicht zum ersten Mal durchführt - eine alternative Staatsform festzulegen - sogar eine Diktatur. Wenn das konsequent durchgeführt wird, zeigt sich ziemlich deutlich, was wir verlieren, wenn wir auf unsere Demokratie nicht gut achtgeben.
Sind die Ausgangsparameter festgelegt, kann es losgehen. Um keine Verwirrung entstehen zu lassen, beschreiben wir hier die Durchführung mit der üblichen Staatsform, der Demokratie.
Vereinfacht ausgedrückt ist ein Staat mit einem Baukasten vergleichbar. Zuerst müssen die Bausteine hergestellt werden, dann kann daraus das Staatsgebilde errichtet werden. Entsprechend muss das Volk - das seid ihr und die Lehrer - zunächst einmal die Elemente erschaffen, aus denen ein Staat besteht. Das muss in mehreren in einem Staat vorkommenden Bereichen geschehen:
Im Bereich Politik gibt es einen Basisbaustein, auf den sich alles andere gründet: die Verfassung. Im Fall einer Demokratie ist das natürlich eine demokratische Verfassung. Die Basiselemente gelebter Demokratie sind unabhängige Parteien, die sich freiwillig und aus eigenem Antrieb heraus gründen. Aus ihnen setzt sich dann das direkt gewählte Parlament zusammen, einschließlich der Minister und des Staatspräsidenten. Für den effektiven Staatsbetrieb sind dann noch Beamte sowie staatliche, regionale und kommunale Institutionen erforderlich. Das erstreckt sich von der Zentralbank über die Zollbehörde bis hin zu den Stadtwerken mit Müllabfuhr.
Im Bereich Wirtschaft ist als Grundlage von allem zunächst eine eigene Währung von Bedeutung. Sie wird von der Zentralbank verwaltet. In einer Demokratie herrscht freie Marktwirtschaft, also wird es bei Schule als Staat auch zur Gründung von Unternehmen kommen, die in eigener Verantwortung agieren. Dabei sind eurer Kreativität keine Grenzen gesetzt. Ihr könnt eine Werbeagentur gründen, oder einen Carsharing-Dienstleister. Auch Bars oder Kneipen sind denkbar, vielleicht auch eine Disco.
Im Bereich Gesellschaft wird es zunächst zur Gründung grundlegender Einrichtungen kommen, wie Polizei, Justizwesen oder auch einem Standesamt. Eines der wichtigsten Elemente einer demokratischen Gesellschaft ist eine freie Presse, also ruft ihr am besten einen Zeitungsverlag, eine TV-Station und einen Radiosender ins Leben. Im kulturellen Bereich könntet ihr vielleicht ein Museum, ein Theater, vielleicht ein Opernhaus oder auch abgefahrene Aktionen wie eine Casting-Show ins Leben rufen.
Sind alle Bausteine hergestellt, könnt ihr daran gehen, sie zu einem lebendigen Staatsgebilde zusammenzusetzen. Mit anderen Worten: erst die Bürger machen den Staat. Bei Schule als Staat gilt dabei als oberstes Prinzip: Schüler und Lehrer sind absolut gleichberechtigt, so wie es Bürger in einem demokratischen Staat auch sind. Solltet ihr es einmal mit einer Diktatur versuchen, könntet ihr das Gleichheitsgebot weglassen. In dem Fall empfiehlt es sich, die Lehrer als Vertreter der Diktatur einzusetzen, dann spürt ihr am eigenen Leib, was es heißt, nicht im Schutz einer Demokratie zu leben und Diskriminierungen ausgesetzt zu sein.
In der Demokratie sind aber alle gleich. Das bedeutet auch, dass ein Schüler der Chef eines Betriebs sein kann und ein Lehrer sein Untergebener. Erfüllt der Mitarbeiter seine Aufgaben nicht zufriedenstellend, steht die Kündigung an - Lehrer hin, Lehrer her.
Wenn es einen Staat gibt, gibt es auch ein Ausland. Im Fall SaS ist das alles außerhalb des Schulgebäudes. Ihr könnt definieren, wie der Staat sich gegenüber dem Ausland verhält. Fasst ihr es als Freihandelszone auf, wie beispielsweise den Schengen-Raum in Europa, kann jeder Ausländer unkontrolliert das Staatsgebiet betreten. Seht ihr es als befreundetes Ausland, genügt eine einfache Grenzkontrolle oder der Kauf eines Visums für den begrenzten Aufenthalt im Staatsgebiet. Wenn ausländische Besucher etwas kaufen möchten, müssen sie natürlich Euro in die Staatswährung tauschen.
Viele Schüler, die bereits an Schule als Staat teilgenommen haben, berichten, in der Projektwoche mehr über Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft gelernt zu haben als in mehreren Jahren Gemeinschaftskundeunterricht. Auf diesem Weg bekommt ihr hautnah mit, wie ein Staat funktioniert, was es mit der Wirtschaft auf sich hat und wie das Rechtswesen funktioniert.
Man könnte es so ausdrücken: Über SaS erwerbt ihr gesellschaftliche und soziale Kompetenz. Ihr lernt, dass gemeinschaftliches Handeln zu besseren Ergebnissen führt, dass es sich lohnt, an politischen Prozessen aktiv teilzunehmen und dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern ständig gepflegt und beschützt werden muss. Auf der praktischen Seite ist Schule als Staat ein sehr effektiver Workshop, um strukturiertes Handeln zu lernen und zu trainieren.
Übrigens: Es gibt auch eine kleinere Formatierung des Projekts, die mit weniger Aufwand verbunden ist: Schule als Stadt. Statt Parlament gibt es den Stadtrat, statt Präsident den Bürgermeister und so weiter. Auch das kann eine nützliche Sache sein, wenn eure Schulleitung partout nicht auf das komplette Projekt einsteigen will. Unser Tipp: Immer erst das große Format versuchen.
Wenn die Schulleitung sich gegen Schule als Staat sperrt, kann das unterschiedliche Gründe haben. Am häufigsten wird wohl die Befürchtung sein, dass die Projektwoche zu viel Durcheinander in den geregelten Schulbetrieb bringt. Oder die Schule glaubt, nicht genügend personelle oder finanzielle Ressourcen dafür zu haben. Vielleicht glaubt sie auch einfach nicht an den Nutzeffekt. Es kann aber auch einen ganz einfachen Grund geben: Die Schulleitung hat sich mit dem Thema noch gar nicht richtig beschäftigt.
In allen Fällen gilt: Es gibt immer einen Weg, SaS auch an eurer Schule zu verwirklichen. Letztendlich kommt es darauf an, ob ihr die Schulleitung davon überzeugen könnt, dass es euch wirklich ernst damit ist. Um das zu vermitteln, gibt es einige Möglichkeiten. Wenn auch eure Eltern hinter dem Projekt stehen, wäre das ein interessantes Thema für den nächsten Elternsprechtag oder eine entsprechende Veranstaltung. Auch könnt ihr es einmal mit einer Pausenhof-Demo versuchen - natürlich nicht während des Unterrichts und absolut friedlich, das versteht sich wohl von selbst. Gibt es eine Schulwebsite mit Diskussionsforum oder eine Facebookseite, sollte das Thema dort ständig präsent sein. Ihr wisst ja - steter Tropfen höhlt den Stein.
Was die Schulleitung wohl besonders intensiv ansprechen könnte, sind Beispiele aus anderen Schulen. Schließlich will sich die Schulleitung nicht vorwerfen lassen, der Entwicklung hinterher zu hinken. Im Internet findet ihr eine riesige Zahl an Berichten von Schulen in ganz Deutschland über ihr SaS-Projekt. Hier ein paar Beispiele:
Richard-Wagner-Gymnasium Baden-Baden
Drostbritannien (Website des Droste-Hülshoff-Gymnasiums Meersburg)
Anno Gymnasium Siegburg
Schimmerland (Schönbuch-Gymnasium Holzgerlingen)
Schlopolis lebt (Schlossgymnasium Mainz)
Schule als Staat ist ein Projekt, bei dem ihr viel lernen könnt. Damit ihr es auch an eurer Schule umsetzen könnt, müsst ihr vielleicht etwas Überzeugungsarbeit leisten. Aber mit den positiven Beispielen anderer Schulen sollte es euch gelingen, auch skeptische Schulleiter zu überzeugen. Und wenn nicht gleich, dann eben später. Die Devise lautet: nicht aufgeben!
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