Notausgang Schild
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Immer höher, besser, schöner

Mit Perfektionismus ins Abseits?

Der Wunsch nach Perfektion kann dir manchmal auch schaden, denn Übereifer kommt nicht immer gut an. Hier erfährst du, wie du Selbstoptimierung richtig angehst.

Kennst du das Gefühl, immer am Limit zu sein? Immer höher, besser, schöner – und natürlich perfekter? In unseren reichen Industrienationen hat sich die Selbstoptimierung zu einem echten Lifestyle entwickelt. Aber was macht das eigentlich mit uns? Auf der einen Seite stehen wir unter ständigem Druck, uns zu verbessern, während wir auf der anderen Seite zunehmend den Kontakt zu unseren Mitmenschen verlieren. Es ist ein bisschen wie ein dreckiges Geschäft, in dem mit unseren Gefühlen gehandelt wird, findest du nicht auch? In diesem Artikel tauchen wir tief ein in die Welt der Selbstoptimierung und fragen uns: Bringt uns das wirklich weiter? Oder treibt es uns nur weiter auseinander?

Mit Perfektionismus ins Abseits?
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Mit Perfektionismus ins Abseits?

Perfektionismus-Falle: Wenn Selbstoptimierung zur Isolation führt

Eine Besonderheit der menschlichen Spezies ist, dass sie sich in ihrem Leistungs- und Optimierungsdrang von anderen unterscheidet. Ob in Sachen Technologie, Gesundheit oder Geld: Schauen wir uns die Entwicklungen der letzten Jahrtausende an, wird deutlich, dass Fortschritt allgegenwärtig ist. Wir haben Zugang zu Medizin, Informationen, finanziellen Mitteln und Bildung. Zugleich leben wir in einer Welt, in der es um Leistung und um die Verbesserung des eigenen Ichs geht.

Der Körper soll gesünder und fitter sein. Das Bankkonto muss praller werden. Unsere mentale Stärke soll so trainiert werden, dass uns nichts mehr bricht. Was zunächst positiv klingt, ist vor allem eins: das Streben nach Perfektionismus. Der Drang, das ideale „Ich“ zu erreichen. Vor allem in modernen und wohlhabenden Industrienationen mit individualistischer Kultur ergeben sich auf diese Weise „Probleme“, die eine Eigenart haben: Es geht viel um Selbstoptimierung. Der Mensch, der heute unter Egozentrikern lebt, rückt sich noch stärker in den Fokus. Wir müssen uns fragen: Wie weit können und wollen wir eigentlich gehen?

Verlust des „Wir-Gefühls“: Einsamkeit ist das Resultat

Je mehr wir uns auf unser eigenes Ego konzentrieren, desto schwieriger wird es, echte Verbindungen zu anderen Menschen aufzubauen. Unsere Bereitschaft, Kompromisse einzugehen, sinkt, weil wir uns selbst immer an die erste Stelle setzen. Beziehungen? Die geben wir schnell auf, weil wir lieber allein sind – und das kann manchmal wirklich guttun. Aber auf lange Sicht landen wir dadurch oft in der Einsamkeit. Und das ist nicht ohne: Studien, unter anderem von Forscher:innen der Universitäten North Carolina und Brigham, zeigen, dass Isolation und Einsamkeit echt riskant für unsere Gesundheit sein können. Das Sterberisiko steigt dann ähnlich wie bei Raucher:innen oder Menschen mit starkem Übergewicht.

Es ist offensichtlich: Das Leben in der modernen Zivilisation fühlt sich oft „einsamer“ an. Es spielt sich hinter Bildschirmen und über virtuelle Nachrichten ab. Das Zusammenleben in Großfamilien oder Gruppen, wie wir es aus früheren Zeiten kennen, wird immer seltener. Besonders ältere Menschen erleben diese Einsamkeit in ihren eigenen vier Wänden – und das zieht sich schon länger als nur seit der Pandemie hin. Immer öfter lesen wir von einer „digitalen Einsamkeit“ oder der Isolation des modernen Menschen.

Konsum als Selbstoptimierung: Wie wir kaufen, um besser zu sein

Fortschritt, Emanzipation und das Einstehen für die eigenen Bedürfnisse sind super wichtig, keine Frage. Aber in unserer Konsumgesellschaft bedeutet Selbstoptimierung oft, dass wir nach Statussymbolen greifen. Wir shoppen, kaufen teure Autos, und wenn wir frustriert sind, kompensieren wir das mit neuen Gütern. So versuchen wir, uns besser zu fühlen und der Welt zu zeigen, dass wir dem idealen Ich immer näher kommen. Oder denke an all die Selbsthilfe-Gurus, die wir buchen, um Stress zu lösen und mental auf das nächste Level zu kommen. Hier geht's nicht um professionelle Psychotherapie, sondern um das große Geschäft mit Leuten, die sich unperfekt fühlen – so, wie die Gesellschaft es von uns erwartet. Diese Menschen brauchen Unterstützung, fühlen sich oft gebrochen durch den enormen Druck des heutigen Lebens. Perfektionismus ist ein Ziel, das wir nie wirklich erreichen werden, aber das Streben danach bringt uns oft genug in echte Schwierigkeiten.

Das schmutzige Geschäft der modernen Selbsthilfe

Klar, es gibt echte professionelle Angebote, die hilfreich sind und für die wir alle dankbar sein sollten. Aber diese in Anspruch zu nehmen, kann schwierig sein und abseits davon sieht es oft ziemlich düster aus. Das Geschäft setzt auf Konsum und nutzt die Selbstunsicherheit der Menschen, um Geld zu machen. Selbsternannte Gurus verdienen sich eine goldene Nase mit Sachbüchern und Kursen, die uns zeigen sollen, wie wir uns selbst „transformieren“ und zu einem besseren Ich gelangen – solche Angebote gibt es heute massenhaft.

Aber hier liegt das Problem: Viele dieser Seminarpakete und Selbsthilfeangebote sind nur darauf ausgerichtet, oberflächlich unsere Schmerzen zu beheben. Sie tun wenig, um tiefgreifende Probleme anzugehen. Der ständige Drang nach mehr Wachstum, mehr Erfolg, mehr Leistung – das ist das eigentliche Übel. Es geht nicht darum, den Ist-Zustand zu akzeptieren, sondern immer etwas an uns zu verändern, zu verbessern, zu optimieren. Und das ist eine gefährliche Einladung für eine Gesellschaft, die Probleme nur noch oberflächlich behandelt und Schwächen als Makel sieht, die es zu überblenden und verbessern gilt.

Das schmutzige Geschäft der modernen Selbsthilfe
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Das schmutzige Geschäft der modernen Selbsthilfe

Social Media: Wo Bestätigung des Ichs zur Routine wird

Hier bieten sich perfekte Bühnen für die ständige Bestätigung, die wir alle irgendwie suchen. Warum ist das so? Hier mal ein paar Gründe:

  • Konkurrenzkampf: In unserer individualistischen Gesellschaft wird ständiger Optimierungsdrang und Leistungsdruck großgeschrieben. Da kommt eine Plattform, auf der wir uns von unserer besten Seite zeigen können, gerade recht.
  • Selbstinszenierung: Auf Social Media inszenieren wir uns, wie wir gesehen werden wollen. Dabei geht es oft mehr um den Schein als um das Sein.
  • Kurzlebige Bestätigung: Likes fühlen sich gut an, aber sie sind flüchtig. Sie boosten unseren Selbstwert nur kurzzeitig und ihre Aussagekraft ist begrenzt.
  • Teilweise Anerkennung: Wir werden für das gelikt, was wir zeigen, nicht unbedingt für das, was wir wirklich sind oder was außerhalb der virtuellen Welt passiert.
  • Narzisstische Züge: Jeder von uns hat diese Züge mehr oder weniger ausgeprägt. Auf Social Media finden wir einen einfachen Weg, diese zu befriedigen, indem wir unseren Wohlstand, unseren Körper oder unser vermeintlich perfektes Leben zur Schau stellen.

Natürlich ist das keine komplette Kritik an der Technologie selbst. Moderne Technologie hat uns auch geholfen, Probleme zu lösen, erfüllende Jobs zu schaffen und den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Aber es ist riskant, unseren Selbstwert über flüchtige, nichtssagende Likes zu definieren oder Enttäuschungen und Verletzungen durch eine sorgfältig kuratierte Selbstpräsentation zu kompensieren.

Neue Wege gehen: Wie Selbstoptimierung auch anders funktionieren kann

Wir müssen nicht ständig im Wettlauf um Konsum und Kapital bestehen. Es ist vollkommen in Ordnung, nicht alles zu optimieren. Wir sollten uns stattdessen auf unsere persönlichen Werte besinnen. Um der Einsamkeit zu entgehen, ist es entscheidend zu erkennen, was uns wirklich wichtig ist. Oft wird Leistung heute nur noch an der Anerkennung durch andere gemessen. Wir könnten jedoch auf ständige Selbstwertoptimierung verzichten, um mehr Bodenständigkeit und Normalität in unser Leben zu bringen. Das ermöglicht uns, angstfreier zu lieben und mutiger unser wahres Ich, ohne Filter, zu zeigen. Nach der Pandemie scheint sich auch ein Gegentrend zur Individualisierung abzuzeichnen: Das Teilen rückt wieder mehr in den Fokus.

Fazit

Mit Selbstoptimierung, erleben wir oft den Verlust von echten menschlichen Verbindungen. Unser Drang nach Perfektion führt zu Isolation und einem Leben, das sich hauptsächlich hinter Bildschirmen abspielt. Die soziale Bestätigung durch digitale Likes und das Streben nach einem idealisierten Selbstbild führen zu einer oberflächlichen Selbstwahrnehmung und einem verzerrten Selbstwertgefühl. Während Selbsthilfe und Konsum als Wege zur Verbesserung erscheinen, sind viele dieser Angebote nur kurzfristige Lösungen, die tieferliegende gesellschaftliche Probleme nicht adressieren. Stattdessen sollten wir einen Schritt zurücktreten und unsere wahren Werte reflektieren. Es ist möglich, ein erfüllteres Leben zu führen, indem wir bewusst auf ständige Selbstoptimierung verzichten und echte zwischenmenschliche Beziehungen pflegen. Der Weg dorthin erfordert Mut, sich vom konstanten Druck zu befreien und das eigene Ich authentisch zu präsentieren. Letztlich liegt es an uns, diesen Wandel zu wählen und ein Leben zu führen, das nicht von äußeren Bestätigungen, sondern von innerer Zufriedenheit und echter Verbundenheit geprägt ist.